Turbulent ist jetzt ĂŒbertrieben, aber die letzte Zeit war schon sehr vollgepfropft mit Treffen, EindrĂŒcken, weiteren VerĂ€nderungen. Ich weiĂ gar nicht, wo ich angefangen soll. Selbst der Bericht vom Dienstag, den ich im Flieger geschrieben habe, ist fĂŒr mich schon wieder ĂŒberfĂ€llig - die Welt wirkt auf mich jeden Tag anders!
Zeit steht
Naja, ungefĂ€hr so wie die RotorflĂŒgel eines Hubschraubers, da sieht man irgendwann auch nicht mehr, wie die sich drehen â so ungefĂ€hr kommt mir die Zeit zwischen Ende Dezember und Anfang Februar vor. Nach meinem Geburtstag Mitte Januar war zwar der Höhepunkt meines Besuches erreicht, danach, aber auch vorher war eigentlich jeder Abend mit irgendeiner Verabredung verplant. Zum Ende teilweise auch schon mal zwei, oder eine zum Mittag-, eine zum Abendessen, dass mir irgendwann nur noch nach Ruhe war, die aber erst mit San Francisco in erreichbare NĂ€he zu kommen schien.
NatĂŒrlich alles bei mehr oder weniger vollem Arbeiten â die Kollegen in der Mediagroup haben mich gerne auch mal um 10:45 mit einem sĂŒffisanten Grinsen und den Worten âWie, aus dem Bett gefallenâ begrĂŒĂt, weil das sicher eine der frĂŒhesten Anfangszeiten war. Bei allem Rumreisen (Besuche in Bonn, Essen, Bochum, Kamen und natĂŒrlich regelmĂ€Ăig im Bergischen), noch ein paar Arzttermine und das KĂŒmmern um ein paar finanzielle Angelegenheiten, spĂ€tem zu Bett gehen, da ich ganz nebenher noch eine Webseite fĂŒr Freunde aus Bremen gemacht habe â vorzĂŒglich in den Stunden nach Mitternacht â bin ich trotzdem immer frĂŒh wach gewesen, und habe die Morgenstunden von acht bis um zehn oder elf fĂŒr mich genutzt, um einfach mal mit mir zu sein und Zeit fĂŒr mich zu haben.

Die Treffen mit ganz unterschiedlichen Freunden waren durch die Bank sehr schön, vor allem immer mit viel Inhalt und Tiefe. Ich habe das GefĂŒhl, viel von den Leuten mitbekommen zu haben. Unterschiedliche EindrĂŒcke, Leute, die sich beruflich umorientieren, andere, die mit der Aufzucht ihrer Sprösslinge beschĂ€ftigt sind und auch schon mal an ihre Belastungsgrenzen kommen, wiederum Leute, deren Kinder langsam das Haus verlassen und die sich mit Mitte 40 umgucken, was denn jetzt der Inhalt des Alltags wird. An vielen Ecken habe ich erlebt, dass immer auch wieder die Frage im Raum steht, wie es weiter geht, nicht tiefschĂŒrfend traurig, sondern einfach nur als Lauf den Lebens. Und beruhigend zu sehen, dass ich nicht der einzige bin, der auf der Suche ist.
Zeit verblasst
Die vier Wochen nach meinem Geburtstag bis zum RĂŒckflug schienen dann trotz des prallen Terminplans nicht weiter zu gehen. Deutscher Alltag machte sich breit. Wenn ich meine Fotos zeigte, stellte sich immer mehr das GefĂŒhl ein, das sind Geschichten, die ich irgendwo gelesen habe, aber mit mir schien das nicht mehr viel zu tun zu haben. Das anfĂ€nglich fremde GefĂŒhl in Köln, vieles mit anderen Augen zu sehen, verschwand ebenfalls wieder, alles war so wie immer, einfach zu Hause. Hand auf Herz, Köln ist jetzt nicht schön (MĂŒnchen oder Hamburg sind schön), aber lebenswert, sicher einer der Orte in Deutschland, der immer meine Heimat bleiben wird.
Und ab und an war ich in der Gegend meiner Wohnung, die nach wie vor untervermietet ist. Ich merkte, wie vertraut mir alles ist, und gleichzeitig hatte ich wieder das GefĂŒhl des Eingefahren-Sein, der Drang nach VerĂ€nderung meldete sich wieder, und ich wusste wieder ganz genau, warum ich letzen Sommer die zufĂ€llige Gelegenheit der Greencard wahr genommen hatte.
Zeit rennt

So lange, wie das Warten schien, so schnell war der Dienstag dieser Woche da. Endlich. Vom GefĂŒhl in der Tat so, jetzt hĂ€tte ich auch in Köln bleiben können, war ich dann doch froh, dass der Tag jetzt da war. Das Warten hatte lediglich die Eigenschaft, als ob alles auf Eis liegt â in Köln fing ich nichts Neues mehr an, da die Tage gezĂ€hlt waren. In San Francisco sind die Leute, die ich kennen gelernt habe, und junge Kontakte bedĂŒrfen sicher mehr Pflege als die guten alten, die ich in Köln habe. DarĂŒber bin ich ĂŒbrigens richtig glĂŒcklich, dass die Bindungen in Köln bzw. Deutschland auf ganz starken Fundamenten ruhen! Genauso wie die Zeit verblasste, schienen auch die neuen Leute in San Francisco zu verblassen, eine leichte BefĂŒrchtung machte sich breit, dass die lange Zeit der Vertrautheit mit den neuen Menschen schadet.
Der Abschied in Köln war ganz anders als letzen Sommer. Im Bergischen bei meinen Eltern kam mir das Auf-Wiedersehen-Sagen schwerer vor als letzen Sommer â alleine deswegen, weil wir nicht von vielen Ă€uĂeren Dingen abgelenkt waren. Nach dem gemeinsamen Mittagessen merkte ich, jetzt muss ich los, sonst wirdâs richtig schwer â kurz und bĂŒndig. Das tut schon weh. Und es geht auch weiter. Mutter Heller ist jetzt im Internet, und das erste Mal habe wir schon kurz geskyped (gibtâs das Wort eigentlich schon im Duden?), ich bin froh, dass wir uns jetzt beim Telefonieren auch sehen können.
In Köln selber ist es mir ebenfalls schwerer gefallen. Nicht weil es schwerer war, sondern weil es weniger spektakulĂ€r war. Keine groĂe Party zum Abschied, keine Freunde, die mich zum Flughafen bringen (hĂ€tte ich gefragt, es hĂ€tte mich sicher jemand zum Bahnhof gebracht). Ich bin einfach aufgestanden, geduscht, alleine mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof, in den ICE Richtung Frankfurt⊠Als ich dann ĂŒber die HohenzollernbrĂŒcke fuhr â leider konnte ich aus dem Zug nur das blaue Musical-Zelt und nicht dem Dom selber sehen â konnte ich mich auch nicht mehr beherrschen, und konnte mir ein paar TrĂ€nen nicht verkneifen.
MerkwĂŒrdig â anders als im letzen Jahr weiĂ ich ja jetzt, was mich erwartet â aber es war jetzt auch schön in Köln.
Der Schalter ist wieder umgelegt

Die elf Stunden im Flieger waren letzt endlich schnell vorbei. Zum GlĂŒck war der Flieger nicht Mal zur HĂ€lfte ausgebucht, dass viel Platz da war und ich eine Zweierreihe fĂŒr mich hatte. In meinem Buch las ich, dass keiner das Fliegen genieĂt. Ich hatte das GefĂŒhl, das ist endlich die Ruhe, die mir seit Wochen gefehlt hatte â elf Stunden einfach mal nix machen. Soviel nix machen, dass selbst ich es geschafft habe, ein kleines 120-Seiten-BĂŒchlein komplett zu lesen â und auch noch zwei Stunden Erlebnisgeschichten (nur fĂŒr mich und nicht veröffentlicht) zu schreiben.
Im Flieger sprach mich eine Frau um die 50 an, die auf dem Weg zu Ihrer Tochter nach Neuseeland war, und sie keine Ahnung hatte, wie sie je ihren Anschluss-Flug finden könne, da sie kein Wort Englisch sprechen wĂŒrde. Ganz im Sinne der âjeden Tag eine gute Tatâ-Manier habe ich ihr meine Hilfe angeboten, sie war ĂŒberglĂŒcklich. Ach ja, bei der Immigration am Zoll durfte ich dieses Mal mit meiner Greencard erstmals in die andere Reihe fĂŒr BĂŒrger und Bewohner der Vereinigten Staaten. Schon cool. Der freundliche Zöllner fragte noch, woher aus Deutschland ich kĂ€me â Köln â wunderbare Stadt, wie er meinte, schmiss mir dann wie viele andere Amerikaner die Worte âOktoberfest, Wiener Schnitzel und Sauerkrautâ an den Kopf (das scheint hier der gĂ€ngige deutsche Wortschatz der Amerikaner zu sein), fragte aber noch, wie ich an die Greencard gekommen sei, beglĂŒckwĂŒnschte mich zu meinem Lotterie-Gewinn und wĂŒnschte mir alles Gute. FĂŒr meine Dame im Schlepptau, die jetzt am selben Schalter war, der jetzt auch fĂŒr Nicht-Amerikaner geöffnet wurde, da keine StaatenbĂŒrger mehr da waren, musste ich dolmetschen, und war selber ĂŒberrascht, wie flĂŒssig mir die Sprache ĂŒber die Lippen ging. Einfach nicht drĂŒber nach denken, dann klappt es am besten!

Als ich meine âgute Tat fĂŒr den Tagâ am Schalter der neuseelĂ€ndischen Airline abgeliefert hatte, und auch dort wieder die RedefĂŒhrung ĂŒbernommen hatte, war ich dann allein. Wieder in San Francisco - und es machte Klick. Als ob ein Schalter umgelegt worden wĂ€re. Aber nicht einer dieser kleinen 110-Volt-Schalter, wie man sie hier gerne hat, sondern irgendein fetter Kraftwerk-Schalter. Es machte Wumm, und ich war wieder da, als ob ich nur zwei Tage weg gewesen wĂ€re. Da ich im Herbst viel Besuch hatte, war ich oft am Flughafen, der ist mir von daher sehr vertraut. Und alles verblichene Erinnerung war wieder klar, super klar, und ich merkte, wie sich mein Dauergrinsen wieder einstellte, das ich im letzen halben Jahr oft an mir erlebt habe. Ich hatte nur das GefĂŒhl: Jetzt habe ich zwei zu Hause, eins dort, und eins hier, und das wird wohl immer so bleiben.
Leider ging das GefĂŒhl schnell wieder weg. Das Wetter ist sehr dĂŒrftig, meine Wohnung ist OK, aber nach meinem ersten Arbeitstag war klar, dass ich die Option auf VerlĂ€ngerung nicht wahr nehmen kann. Neben den olfaktorischen Nebenerscheinungen der beiden Katzen (die sehr sĂŒĂ sind) ist vor allem mein Schreibtisch eher eine Kindervariante, und die DIN-A 3 Farbausdrucke des aktuellen WDR-Projekts liegen in der Zwischenablage des Kleiderschranks neben mir. Erstaunlicher Weise â trotz weichem amerikanischem Bett und Rattan-Sessel als Schreibtischstuhlersatz sind meine RĂŒckenschmerzen seit drei Tagen weg â also, irgendwas schient sich an meiner Haltung verĂ€ndert zu haben, was es mir gut gehen lĂ€sst. Vom Jetlag geplagt und zwei Tage Arbeit fĂŒr Deutschland in meinem KĂ€mmerchen habe ich nicht das GefĂŒhl, in San Francisco zu sein.
Angekommen in San Francisco
Neben der Arbeit habe ich angefangen, mich auf erste Jobs zu bewerben. Vor allem aber habe ich mich nach einer neuen Bleibe umgeguckt. Mittwoch eine WG im Castro gesehen â coole Wohnung, das Zimmer aber mit 50cm Blick auf die nĂ€chste HĂ€userwand und ĂŒber 100 Mitbewerber, weit ĂŒber 1000 Dollar. Gestern eine WG auf dem Twin Peaks. Cooler Typ, schöne Wohnung, Blick ĂŒber die ganze Stadt, aber auch ĂŒber 1000 Dollar mit allen Nebenkosten. Habe heute abgesagt, da nicht ganz zentral, und je nach dem, wo ich arbeiten werde, der Weg auf den HĂŒgel extrem weit werden kann.
Heute eine Wohnung mitten drin â mitten im Tenderloin. Mehr oder weniger im Drogen und Obdachlosenviertel, aber schon ein nettes Studio â mĂŒsste noch eingerichtet werden, aber fĂŒr 900 Dollar erschwinglich. Die Lage scheint den Preis zu erklĂ€ren, ich kĂ€m aber damit klar. Bei den Unterlagen wurde mir aber klar, dass ich wahrscheinlich keine Chance habe, da ich weder eine amerikanische Kredithistorie habe (ganz eigenes Thema), noch EinkĂŒnfte in Amerika der letzen drei Monate nachweisen kann. Holt mich also doch ein, dass ich nur fĂŒr Deutschland gearbeitet habe.
Danach eine WG auf der
Ashbury Street. 750 Dollar â und ich dachte noch, das wĂ€re mal ein coole Adresse, dort, wo die 68er Bewegung statt fand und heute noch alles Hippie ist. Habe mich nur gefragt, was meinte der Typ, als er in seiner Anzeige schrieb, er legt Wert auf Ordnung und Sauberkeit â die 750 Dollar waren bislang das billigste, und hier konnte ich auch sehen, warum es so war

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Wollte danach nach Hause, saĂ im Bus, der auch in die Innenstadt fĂ€hrt und dachte, ach, jetzt kannste noch in den Apple-Store und zu Abercrombie & Fitch fahren, die Dinge kaufen, die ich ganz oben auf meiner Liste hatte. Auch hier ist die Zeit nicht stehen geblieben â mein geliebter iPod (im August gekauft) ist veraltet, man hat jetzt den der 2. Generation â und Zubehör fĂŒr die alten gibtâs nicht mehr. Dann muss die alte SchutzhĂŒlle, obwohl kaputt, eben bleiben.
Danach zu
Abercrombie & Fitch, um mir die Kapuzen-Jacke zu kaufen, die ich in New York am Flughafen verloren habe. Hier hĂ€ngt nun aber die Sommermode. Es gibt zwar eine Ă€hnliche Jacke, die ist allerdings wesentlich dĂŒnner, habe gezögert, ach egal, ich will die haben. Zum SpaĂ gehe ich in das Kellergeschoss, und als ob es doch eine ausgleichende Gerechtigkeit gibt: Auf dem WĂŒhltisch der Sonderangebote aus der letzen Kollektion liegt eine einzige blaue Jacke auf dem Tisch, genau die ich suchte, die Wintervariante, und genau in meiner GröĂe. Und da alles raus muss, das noch zum halben Preis. Die Engel sind doch mit mir.
Ich fahre nach Hause, Handy klingelt, Bettina ist dran, hat mit Ihrer Vermieterin gesprochen, und es gibt eine Wohnung fĂŒr mich. Habe die Frau angerufen, auch wenn ich keine amerikanische Kredithistorie habe, sei es kein Problem, sie hĂ€tte gute Erfahrungen mit Deutschen gemacht, auĂerdem sei ich ein Freund von Bettina, und das sei ihr Referenz genug. Damit habe ich die mĂŒndliche Zusage fĂŒr ein Studio â im selben Haus wie Bettina, mitten drin, nur ein paar StraĂen vom Union-Square entfernt (was in Köln die Schildergasse wĂ€re), fĂŒr unter 1000 Dollar, und bekomme sogar noch ein neues Futton-Bett rein gestellt. Ist das cool? San Francisco nimmt mich also in Empfang!
Ich freue mich, und zugleich ist nach wie vor die Frage nach Köln oder San Francisco im Kopf. Aber ganz geschmeidig, nichts mehr, was mich aus der Bahn wirft. Ich habe derweil klar, dass ich das heute nicht entscheiden muss, vielmehr sogar, wĂŒrde mich heute jemand fragen, gĂ€be es die klare Antwort, das Kapitel San Francisco wird auch irgendwann wieder zugemacht. Aber erst mal bin ich hier â auch nicht das letzten Mal. Freue mich darauf, wieder richtig anzukommen!