Zwischen unendlichen Weiten und völliger Reizüberflutung

...oder 96 Stunden mit vielen Worten - ein verlängertes Wochenende...

Wetter kann so unterschiedlich sein...



Ich bin zwar derweil richtig im Arbeitsmodus angekommen, aber Heiko aus Hamburg - der als er hörte, dass ich länger in San Francisco sein werde, hatte fast vor mit den Flug gebucht, um mich zu besuchen - ist seit über einer Woche im Lande. Er hat Familie in Reno/Nevada, so verschlug es mich letztes Wochenende ins Landesinnere!

Die E-Mails von Heiko (der seit ein paar Tagen in Reno bei Tante und Onkel war), ich solle bei der Autovermietung nach Schneeketten fragen, hat mich zwar erreicht, habe aber die Botschaft nicht verstanden. Seit Wochen höre ich aus L.A., dass das Wetter dort viel besser ist als hier in San Francisco. Von daher war mir klar, dass ich im kältesten Ort der Staaten bin. Ich habe mich eher darüber geärgert, dass kein Platz mehr für meine FlipFlops im Rucksack war.

Nun denn, der Weg nach Reno führt allerdings durch die Sierra Nevada, dort über den Donnerpass - mit 2200 Metern doch recht hoch - und auf dem Weg hinauf jede Menge Seitenstreifen, um Schneeketten anlegen zu können. Ups - habe mehrfach die Hand aus dem Fenster gehalten, und es waren gefühlte 2° C - und wie ich später erfahren habe, hatte dort morgens noch Schnee gelegen - das Glück war erfreulicher Weise auf meiner Seite!


Mehr Klischee geht nicht ;-)



In Reno angekommen, wurde ich erst mal von Heikos Tante mit einem asiatisch zubereiteten Tunfisch versorgt. Lecker. Die Frage, ob wir nach Reno rein fahren, um dort entweder ein Begrüßungsgetränk zu uns zu nehmen oder ins Spielcasino fahren um etwas zu gambeln, war schnell beantwortet; ich hatte Heiko schon länger nicht mehr gesehen. So saßen wir kurze Zeit später in einer Gay-Bar, und tranken unser erstes Bier. Und klischeehafter geht es kaum. Reno hat ganz im Gegensatz zu San Francisco eine schwule Infrastruktur, wie die von Remscheid oder Gummersbach - und der schwule Mann läuft hier tatsächlich im Karo-Hemd und mit Cowboy-Hut auf. Man bekommt das Gefühl, das der Brokeback Mountain direkt um die Ecke ist!

Mein erstes amerikanische Footballspiel



Am Samstag habe ich also mein erstes Football-Spiel gesehen. Ehrlich gesagt, ich habe in Deutschland noch nie ein Fußballspiel in einem Stadion gesehen. Aber Amerika heißt für mich gerade auch, einfach mal verrückt sein und ganz wilde Dinge machen. Dank Freikarten von Lani, die Ehefrau von Heikos Cousin Illya, sitzen wir um 13:00 im Stadion. Es spielen die Nevada Wolf Pack's gegen irgendeine mexikanische Mannschaft.

Heiko kann mir auch nicht erklären, worum es hier geht, welche Yards gemacht werden müssen und so weiter - und ich habe ebenfalls keine Ahnung. Ich kann nur sagen: Es sieht einfach gut aus, die Jungs hocken entweder wie in der Startposition zum 100-Meterlauf gegenüber, stehen eher gelangweilt im Kreis und scheinen ein Schwätzchen zu halten oder schmeißen sich mit dem Gegner auf eine großen Haufen, um irgendwie in Besitz des Football-Eis zu gelangen. Für die reine Spielzeit von einer Stunde brauchen sie fast vier Stunden - und wir gehen gut unterhalten und ebenfalls gut durchgefroren um kurz vor fünf aus dem Stadion - leider hat der Gastgeber verloren...

Im Anschluss gehen wir mit Lani, Illya und deren Sohn Alden Bowling spielen, mit Heiko geht‘s später noch zum Mexikaner, und wir beenden den Tag mit ein wenig Geldverschwendung im Peppermint-Spielcasino. Ich werde in einer guten Stunde rund 30 Dollar los. Ach, was kostet das Leben...

Virginia City



Am Sonntag geht‘s weiter im strammen Programm. Nach einem gemeinsamen Frühstück im PJ's und Co mit Heikos ganzer Familie führt uns die Autofahrt in die Berge. Virginia City ist der Versuch, dem Tourist zu zeigen, wie der Wilde Westen von 50, 75 oder 100 Jahren aussah. Na ja, erinnert alles irgendwie ans Phantasialand, man kann sich auch hier in Western-Klamotten steigen und sich in einer Zinkwanne ablichten lassen, die Fotos werden dann auf alt getrimmt abgezogen - will gar nicht wissen, wie teuer das ist.

Was aber einfach gigantisch ist, ist der endlose Blick von diesem Bergdorf über Hügel, Sträucher, Bäume und sonst nix. Nix! Ich schätze, man kann hier sicher 30 KM oder weiter sehen, und es ist ein Blick, den man in Deutschland nicht erleben kann. Hier gibt‘s soweit das Auge reicht keine Häuser, keine bewirtschafteten Felder - einfach nur Weite!

Beeindruckend ist auch der mehrere hundert Jahre alte Friedhof. Neben stolzen Engelstatuen ist hier jedoch das bevorzugte Baumaterial schlichter Beton, neben Gräbern, die unsern in Deutschland ähneln, sieht man auch solche, bei denen einfach das Material genommen wurde, was verfügbar war. Ein ungeschriebenes Gesetz, wie ein Grab auszusehen hat, ist hier eher nicht zu erahnen.

Lake Tahoe



Die Autofahrt führt und weiter zum Lake Tahoe. Der auf fast 1900 Meter hoch gelegene See, komplett von Bergen umgeben, ist einfach nur der Hammer. Riesig groß und glasklar!

Auch wenn es sich geschwollen anhören mag: Ich erlebe das ganze als absoluten Luxus. Ich komme mal eben vom anderen Ende der Welt, wohne hier eine Weile, die Arbeit kommt sogar hinter mir her, und ich darf dieses Stück Natur erleben. Andere Menschen auf diesem Erdball werden nicht satt oder haben nicht die geringste Chance auf ein Stück Bildung... Ich erlebe das wirklich als ein besonderes Privileg. Und bin tief beeindruckt.

Am Abend haben wir auf der einen Seite den Sonnenuntergang, auf der anderen den aufgehenden Vollmond - es ist schon sehr imposant. Essen noch einen original amerikanischen Hamburger (nicht diesen McDonalds-Dreck) und am Abend suche ich aus den ersten 500 Bildern von insgesamt fast 1000, die ich in den vier Tagen mache, ein paar raus, die einen kleinen Eindruck vermitteln könnten… Echt keine leichte Aufgabe.

Eine ganz normale amerikanische Familie



Ganz nebenbei bekomme ich den Alltag von Heikos Familie mit. Tante Regine und Onkel Uwe sind beide über 50 Jahre hier. Meine Frage, ob sie je überlegt haben, wieder nach Deutschland zu gehen, wurde mit einem müden Lächeln abgetan. Das sind die ersten Deutschen, die ich treffe, die hier richtig angekommen sind. Und die beiden sind Engel - ich werde wie ein eigener Sohn versorgt, meine Bemühungen, meinen Anteil am Brunch am Samstag oder am sonntäglichen Frühstück zu begleichen, scheitern kläglich.

Es ist super entspannt. Wir unterhalten uns über Amerika, ihre vielen Umzüge, etwas über Politik. Im Gegensatz zu San Francisco, wo man ausschließlich Schilder sieht, die den Wunsch nach Barack Obama als Präsidenten bekunden, sind hier auch solche zu finden, welche die Sympathie mit John McCain und Sarah Palin zeigen. Ich stelle mir nur vor, wie es im Bergischen wäre, wenn in den Vorgärten CDU oder SPD-Schilder stünden, und wie sich der eine fühlen muss, der das DieGrünen- oder das PDS-Schild raus stellt.

Abgesehen davon erlebe ich hier wirklich eine generationsübergreifende Offenheit, wie ich sie in Deutschland nicht kenne. Oder die ich einfach nur anders erlebe, weil meine Augen hier viel offener sind... Ich weiß es nicht.

Bodie Geisterstadt



Am Montagmorgen ist frühes Aufstehen angesagt. Da wir einige Kilometer vor uns haben, sitzen wir bereits um halb acht am Frühstückstisch - und die Brote sind bereits für uns geschmiert - das hab ich schon lange nicht mehr erlebt. Ein paar Stunden später sind wir in Bodie. Bodie ist eine Geisterstadt in den Bergen der Sierra Nevada, irgendwo im Nichts zwischen Nevada und Kalifornien. Hier wurde von 150 Jahren nach Gold gegraben, und zu Hochzeiten haben in dem Ort 10.000 Menschen gelebt. Aus den Broschüren bekommt man eine Ahnung, dass hier sehr dunkle Geschichten passiert sind, was genau, lässt sich auf die Schnelle nicht feststellen.

In den 30er Jahren ist der Ort dann verlassen worden. Die Leute sind einfach gegangen, und blickt man durch die Fenster, sieht man noch die aktuelle Tageszeitung oder ein paar alte Schuhe. Oder im Saloon stehen noch die Bierflaschen auf dem Tresen (wobei man hier sicherlich etwas nach geholfen hat). Es stehen noch 170 Gebäude auf dem Gelände, man renoviert die Häuser nicht, bewahrt sie aber vor dem Verfall, sodass man noch lange diesen Ort besuchen kann. Bei Sonnenschein und Schnee an den Wegrändern ist auch dieser Ort etwas ganz einmaliges.

Mono Lake



Eher zufällig auf dem weitern Weg zum Yosemite National Park kommen wir am Mono Lake vorbei. Hier fließen mehrere Flüsse rein, aber keiner raus. Das Wasser verdunstet einfach, was zu einem höheren Salzgehalt als in den Meeren führt, und dadurch nur ganz bestimmte Lebensformen zulässt. Der Geruch ist etwas merkwürdig, das Blau des Sees aber der Hammer.

Am Mono-Lake vorbei führt eine Straße, die ewig gerade aus geht. Der See ist 23 KM lang, von daher wird die Straße ähnlich lang sein. Das ist Amerika, wie ich es mir vorgestellt habe. Mal wieder endlose Weiten, keinen Grund, irgendwo ein Kurve einzubauen, alles etwas Mondlandschaft-ähnlich - Hammer!

Yosemite National Park



Nach dem kurzen Stopp am Mono Lake geht's nun aus östlicher Richtung in den Yosemite National Park. Der Tioga-Pass, der zwei Tage zuvor noch wegen Schnee gesperrt war, ist wieder frei und führt uns auf über 3000 Meter Höhe. Felsen, Tannen - nein, Riesenmamutbäume, oder Sequoioiden, wie wir später lesen, Bäche und der Rest Schnee verleihen das Gefühl, dass der Mann aus den Bergen gleich um die Ecke kommt.

Wir brauchen ein paar Stunden, um den Park zu durchqueren, nach Einbruch der Dunkelheit suchen wir uns eine Unterkunft - essen dort zu Abend - die Preise sind gesalzen, dafür ist das Essen dann auch weniger gut. Man merkt, dass sie nicht auf Stammkunden angewiesen sind. Hier kommen eben Leute wie wir, bleiben eine Nacht, fahren danach in den Park, und werden dann wahrscheinlich, wenn überhaupt, erst Jahre später wieder gesehen.

Yosemite Village



Am Dienstagmorgen geht es in das Herz des Yosemite Parks. Anders als am Vortag, an dem wir uns oben auf den Bergen bewegt haben, fahren wir nun in das Tal. Es ist einfach nur der Hammer, wir halten alle 100 Meter an, um wieder einen neuen Eindruck digital fest zu halten. Und da sind wir nicht alleine. Auf einer Brücke über einem Fluss, in dem sich die ganze Felsenpracht spiegelt, stehen 10, 15 Hobbyfotografen. Ich selber habe bei der Anschaffung meiner Canon nicht gerade geknausert, aber hier kommt man sich schon kläglich vor. Der Amerikaner hat vor allem ein Stativ bei sich, und zum ersten Mal sehe ich einen Mann, der direkt mit zwei Kameras und gigantischen Objektiven dort steht.

Unser Fußmarsch zum Yosemite Wasserfall ist leider nicht mit Erfolg gekrönt - hier ist kein Wasser, und man bekommt nur eine Ahnung, wie das aussieht, wenn der Winter vorbei ist, und die Schneeschmelze beginnt. Am anderen Ende des Tals steigen wir aber bis zur Brücke des Vernal Falls auf, sehen diesen aus der Entfernung, und werden für den anderen leeren Wasserfall entschädigt.

Langsam leide ich an Reizüberflutung. Mich zieht es allmählich nach San Francisco zurück, nicht zuletzt, weil ich die Abnahme meiner Arbeit für den WDR erwarte, und sicher noch ein paar Tage Anpassungen vor mir habe.

Wir verlassen den Park gegen 16:00. Nach San Francisco sind es gute 300 Kilometer. Und die erste Hälfte der Autofahrt ist dann wieder Amerika, wie ich es mir vorstelle - gelb-dörre Grasfelder, Hügel, mal ein paar Bäume, ganz vereinzelt mal ein Wohnwagen, aber sonst endlose Weiten. Auf dem Freeway heißen die Abfahrten dann auch einfach nur "Tulloch Dam Rd", da hier kein Ort ist, in den man fährt, sondern einfach nur eine einzelne Straße, und die Nachbarn sind hier sicher gerne mal 5 Meilen weiter weg.

Zurück in San Francisco



Die zweite Hälfte der Autofahrt ist dann ganz anders. Hier beginnen die Städte - die Bay Area hat uns wieder, und über 100 Kilometer vor San Francisco gibt es kaum noch Lücken in der Besiedelung. Und ich freue mich auf die Stadt.

Ohne auf eine Karte gucken zu müssen, finde ich auf dem direkten Weg zu meiner Wohnung und zu Heikos Motel. Ich merke, dass dies schon ein keines Stück Heimat geworden ist. Ich bin ganz aufgeregt, dass ich meinem Besuch sogar die eine oder andere Geschichte über die Stadt und die Straßen, durch die wir fahren, erzählen kann.

Und bin glücklich, wieder da zu sein. Gehe am späten Abend noch auf ein Bier in meine Stammkneipe, um über die Eindrücke der letzen Tage noch etwas zu sinnieren. Treffe Michael, David und sehe noch andere bekannte Gesichter... ach, mir geht‘s doch einfach nur gut! Und bin immer noch tief beeindruck von diesen wunderschönen Tagen!

Trackbacks

    Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: (Linear | Verschachtelt)

    Noch keine Kommentare


Die Kommentarfunktion wurde vom Besitzer dieses Blogs in diesem Eintrag deaktiviert.